Die Insolvenzantragspflicht
In Deutschland haben Geschäftsführer die Pflicht, ohne schuldhaftes Zögern, jedoch spätestens innerhalb von drei Wochen nach Eintritt von Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung der von ihnen vertretenen Unternehmung einen Insolvenzantrag zu stellen. Diese Verpflichtung ist geregelt in der Insolvenzordnung.
Ziele des Insolvenzverfahrens
Hintergrund der Regelungen in der Insolvenzordnung ist in erster Linie die geordnete Abwicklung einer Insolvenz. Als konkreten Ziele des Insolvenzverfahrens sind in § 1 der Insolvenzordnung explizit genannt: zum einen die gemeinschaftliche Befriedigung von Gläubiger und Schuldner, indem das Schuldnervermögen verwertet und der Erlös verteilt wird (als Alternative wird auch benannt, dass über einen Insolvenzpban eine abweichende Regelung (insbesondere zum Erhalt der Unternehmens) getroffen wird) und zum anderen die Befreiung des redlichen Schuldners von seinen Verbindlichkeiten.
Die Aussetzung der Insolvenzantragsverpflichtung wegen der Coronapandemie
Im Rahmen der Pandemie kam es zu Hilfszahlungen des Staates, deren Auszahlung nicht innerhalb der engen Fristen der Insolvenzordnung möglich war. Aus diesem Grund kam es zu einer Aussetzung der Insolvenzantragspflicht, die mehrfach abgeändert wurde: zu Beginn der Pandemie wurde sie generell ausgesetzt, im Nachgang nur noch für diejenigen Unternehmen, die bereits eine bewilligte Coronahilfe zugewiesen, aber noch nicht ausgezahlt bekamen. Anfang Mai lief die Befreiung von der Insolvenzantragspflicht aus, was in der Fachpresse zu vielen Diskussionen führte. Viele Argumente sprechen für eine Verlängerung der Aussetzung, u. a. das Argument, dass die Mühen, die man sich bislang rund um das Überleben vieler Unternehmen machte, vergeblich gewesen sein könnten, würde man jetzt plötzlich auf die Einhaltung der regulären und auch schon vor Corona geltenden Regeln bestehen. Das härteste Argument gegen eine weitere Verlängerung ist jedoch der Gläubigerschutz.
Der Gläubigerschutz im Insolvenzverfahren
Die Verwertung des Schuldnervermögens nebst Verteilung desselben auf die Gläubiger und damit die geregelte Abwicklung der Insolvenz als eines der beiden Hauptziele des Insolvenzverfahrens beinhaltet als Ratio den Schutz der Gläubiger. Denn denklogisch kann es jedem egal sein, ob jemand zahlungsunfähig oder überschuldet ist- eine echte externe Auswirkung haben diese beiden Insolvenzantragsgründe ja erst, wenn sie auch nach außen in Erscheinung treten, also andere Personen oder Unternehmen hierdurch beeinträchtigt werden.
Transparenz als Säule des Gläubigerschutzes
Der Teilezulieferer eines verarbeitenden Unternehmens hat Interesse daran, dass die Ware, die er fristgerecht ausgeliefert hat, auch bezahlt wird. Dass es im Geschäftsverkehr immer wieder einmal zu Zahlungsschwierigkeiten oder auch vereinbarten Stundungen, die zwischen Schuldner und Gläubiger vereinbart werden kommen kann, ist gängige Praxis und eine Insolvenz wird hiervon in aller Regel auch nicht ausgelöst, vorausgesetzt, es werden Maßnahmen ergriffen, die transparent machen, worin die Schwierigkeiten gerade bestehen. Genau dann setzt man sich mit seinen Geschäftspartnern zusammen und erläutert, warum ein Engpass entstanden ist und wie dieser ggf. gemeinsam überwunden werden kann. Diese Art der Transparenz ermöglicht es insbesondere dem Forderungsgläubiger seinerseits Maßnahmen zu ergreifen, um die ausbleibende Begleichung von Außenständen abfedern zu können. Für eine langjährige, erfolgreiche Zusammenarbeit ist diese Art des offenen Umgangs nicht nur zwingend notwendig, sondern in weiten Teilen auch gängige Praxis.
Fehlende Transparenz in der Coronapandemie
Die Problematik der fehlenden Transparenz tritt in der Coronapandemie offen zu Tage. Fakt ist, dass im Frühling 2020 niemand wissen konnte, wie lange es zu Schließungen von Geschäften, zur Freistellung von Personal in vielen Gewerbezweigen oder der Unmöglichkeit der Mietzahlungen von Einzelhandelsläden und insgesamt zu einem Herunterfahren der deutschen und internationalen Wirtschaft kommen würde. Übrigens auch die Politik nicht. Die Dauer der Bereitstellung von Impfstoffen, eine ausgeklügelte Impfstrategie- all das als Basis für ein Wiederhochfahren der wirtschaftlichen Beziehungen ist eigentlich bis heute- im Mai 2021- vor allem mit Blick auf etwaig entstehende oder bereits entstandene Coronavirusmutanten extrem ungewiss. Für den Gläubigerschutz bedeutet dies vor allem eines: ungeklärte Verhältnisse zu ausstehenden Forderungen seit über einem Jahr- mit ungewisser und daher negativer Zukunftsprognose.
Bedeutung der fehlenden Transparenz für die Praxis
Dass Bierzulieferer von Gastronomiebetrieben nicht wissen, ob die von ihnen belieferten Gastronomen jemals in der Lage sein werden, die seit dem vergangenen Jahr offenen Rechnungen begleichen zu können, ist per se bereits eine missliche Situation. Welch weitreichenden Konsequenzen dies aber auch noch für den Rest der Beteiligten haben kann, wird deutlich, wenn man sich vor Augen führt, wer mit so einer Geschäftsbeziehung eben auch noch verknüpft ist, etwa, dass Studenten, die vormals als Kellner, Tellerwäscher oder Küchenhilfen in den Restaurants und Cafés gearbeitet haben, mittlerweile flächendeckend als Nachhilfelehrer für vom Homeschooling geplagte Familien fungieren- und ggf. an dieser Tätigkeit Freude gefunden haben. Kommt es also (irgendwann) wieder zum Normalbetrieb in Restaurants dürften die Betreiber durchaus auch Probleme damit haben, gutes Personal (wieder) zu gewinnen. Aber nicht nur auf Seiten der Gastronomen musste sich im Laufe der Pandemie die Personalstruktur ändern- auch der Bierzulieferer hatte Rechnungen gegenüber Brauereien, diese gegenüber Hopfenbauern usw. offen und zu begleichen. LKW- Fahrer, die die Gastronomiebetriebe belieferten, hatten und haben Einbrüche bei den Aufträgen zu verzeichnen. Die Tatsache, dass also pandemiebedingt ein Restaurant geschlossen haben muss, betrifft eine Vielzahl anderer Unternehmen und Personen. Da aber keiner der Beteiligten weiß, wie es zukünftig weitergeht, fehlt in diesem Gesamtkonstrukt die- wie oben beschrieben- äußerst notwendige Transparenz. War der eine Gastronom im Sommer noch risikofreudig und beantragte für seine Mitarbeiter Kurzarbeitergeld, investierte in einen umfangreichen Hygieneplan und Luftreinigungsgeräte, entließ der andere seine Mitarbeiter und schloss die Tore- viele ja auch leider für immer.
Aushebeln der gängigen Praxis
Wer es richtig gemacht hat, lässt sich auch Stand heute- über ein Jahr nach Ausbruch der Coronakrise, objektiv nicht beurteilen. Das normale Funktionieren von Regeln, wie sich ein besonnener Kaufmann zu verhalten hat, wurden durch die Unsicherheiten der Coronapandemie gänzlich ausgehebelt. Diese Unsicherheit übertrug sich auch auf die Geschäftsbeziehungen von Unternehmen untereinander, was besonders auf Seiten der Gläubiger zu einer sehr unbefriedigenden Situation führte, ist es doch auch buchhalterisch ein riesengroßer Unterschied, ob eine Forderung zur Insolvenztabelle angemeldet wird oder ob sie- in Abhängigkeit von nicht vorhersehbaren Coronainzidenzwerten und der Frage, ob die Kunden des in Schieflage geratenen Geschäftspartners plötzlich im Sommer einen Riesennacholbedarf stillen wollen- gegebenenfalls doch befriedigt werden können.
Die Frage der Verlängerung der Aussetzung der Insolvenzantragspflicht
Genau an dieser Stelle setzt die Diskussion rund um die Frage danach, ob die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht auch über den April 2021 hinaus hätte verlängert werden sollen, an. Denn durch eine Verlängerung dieser Aussetzung wird auch die Unsicherheit auf Seiten der Gläubiger verlängert. Dass dies über einen so langen Zeitraum wie bereits jetzt abgelaufen, irgendwann unzumutbar werden würde, dürfte jedem klar geworden sein. Gerade mit Blick darauf, dass die nächsten Wochen und Monate noch genauso unsicher sind wie die vergangenen, sollte meines Erachtens der Gesetzgeber aber nunmehr für klare Zeichen sorgen und der Wirtschaft auch die Möglichkeit geben, der Wahrheit ins Gesicht zu blicken. Im Laufe des Sommers sollte klar werden, wie viele Unternehmen die Krise tatsächlich nicht bewerkstelligen können und konnten und diese Realität wird nicht nur für die Gläubiger gut sein. Und als Trost für alle, die das Schlimmste befürchten: Hochkarätige Spezialisten wie der CDU- Rechtsexperte Heribert Hirte, der in seinem Interview in der Zeitschrift „Capital“ vom 03.05.2021 klar macht, dass die Insolvenzwelle, die von vielen bereits mehrfach angekündigt worden sei, letztlich gar nicht so hoch ausfallen dürfte, prognostizieren auch durch die Rückkehr zum Vor-Corona- Status keine dramatischen Zustände. Im Ergebnis teile ich die Auffassung von Herrn Hirte auch.
Und letztlich gibt es ja noch eine zweite Zielsetzung im Insolvenzverfahren: Die Befreiung des redlichen Schuldners von seinen Verbindlichkeiten. Insofern muss eine vielleicht doch nicht unerhebliche Steigerung von Insolvenzanträgen gar nicht als so negativ gesehen werden- am Ende handelt es sich bei diesem Verfahren und einen Katalysator für die Wirtschaft- oder um es mit den Worten der Gebrüder Grimm auszudrücken: „Die Guten ins Töpfchen, die Schlechten ins Kröpfchen!“