businesslawUncategorizedDie Ausgangsbeschränkungen im Lichte der Grundrechte

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Die Coronaviruspandemie führte in Deutschland zu weitreichenden politischen Entscheidungen, die nicht nur unser wirtschaftliches, sondern auch unser gesellschaftliches Leben stark beeinträchtigen. Natürlich kommen in Zeiten wie diesen auch Fragen auf- etwa: Darf der Staat das jetzt eigentlich?

Mit dieser Frage beschäftige ich mich in diesem Blogbeitrag.

  1. JA! Der Staat darf das!

Die Antwort auf die Frage, ob der Staat das alles darf, kann mit einem beherzten JA beantwortet werden! In unserem normalen Alltag nehmen wir die Rechte, die wir in Deutschland haben, mit einer herrlichen Selbstverständlichkeit nicht aktiv wahr- wir sehen sie als gesetzt an. Und dabei meine ich “herrlich” gar nicht ironisch, sondern tatsächlich im Wortsinn: Wie herrlich ist es, in einem Staat zu leben, in dem Freiheitsrechte als Selbstverständlichkeit angesehen werden? Wir dürfen unsere Meinung frei äußern, wir dürfen hingehen wo wir wollen, wir haben einen Anspruch auf Bildung, ja sogar eine Schulpflicht für Kinder ab 6 Jahren. All diese wunderbaren Freiheitsrechte ermöglichen uns ein recht sorgloses Leben im Verhältnis zum Staat.

By the way: Ein Blick ins Gesetz erleichtert nicht nur die Rechtsfindung, sondern ist ein echter Eye-Opener, wenn man sich wirklich mal mit den Freiheitsrechten in unserer Verfassung beschäftigen will:

https://www.gesetze-im-internet.de/gg/BJNR000010949.html

2. WIE darf der Staat das?

Als Nichtjurist fragt man sich in diesen Tagen vielleicht, wie so weitreichende Rechte, die quasi im Unterbewusstsein unserer Gesellschaft so tief verankert sind, dass wir gar nicht genau wissen, um welchen Artikel des Grundgesetzes es sich jetzt konkret handelt, wenn man sich nicht mehr zum Sonnenbaden im Park mit seinen Freunden treffen darf, eingeschränkt werden können.

Die Vorstellung, dass die Bundeskanzlerin oder ein Ministerpräsident sich “einfach so” ausdenkt, dass eine Ausgangsbeschränkung  jetzt gerade eine schlaue Maßnahme wäre, weil drei Virologen die Lage als kritisch einschätzen, ist hierbei sicherlich ebenso verfehlt wie die irrige Annahme, der Staat dürfe das gar nicht entscheiden.

a. Voraussetzung

Die Beschränkung von Grundrechten bedarf immer einer gesetzlichen Grundlage. Dies ist in Art. 19 Abs. I S. 1 GG geregelt. In diesen Tagen ist das für die Beschränkungen maßgebliche Gesetz das Infektionsschutzgesetz (IfSG).

Auch hier lohnt sich ein Blick ins Gesetz: https://www.gesetze-im-internet.de/ifsg/

In § 28 des IfSG findet sich unter dem Schlagwort “Schutzmaßnahmen” folgender Wortlaut:

1) Werden Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige oder Ausscheider festgestellt oder ergibt sich, dass ein Verstorbener krank, krankheitsverdächtig oder Ausscheider war, so trifft die zuständige Behörde die notwendigen Schutzmaßnahmen, insbesondere die in den §§ 29 bis 31 genannten, soweit und solange es zur Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten erforderlich ist. Unter den Voraussetzungen von Satz 1 kann die zuständige Behörde Veranstaltungen oder sonstige Ansammlungen einer größeren Anzahl von Menschen beschränken oder verbieten und Badeanstalten oder in § 33 genannte Gemeinschaftseinrichtungen oder Teile davon schließen; sie kann auch Personen verpflichten, den Ort, an dem sie sich befinden, nicht zu verlassen oder von ihr bestimmte Orte nicht zu betreten, bis die notwendigen Schutzmaßnahmen durchgeführt worden sind. Eine Heilbehandlung darf nicht angeordnet werden. Die Grundrechte der Freiheit der Person (Artikel 2 Abs. 2 Satz 2 Grundgesetz), der Versammlungsfreiheit (Artikel 8 Grundgesetz) und der Unverletzlichkeit der Wohnung (Artikel 13 Abs. 1 Grundgesetz) werden insoweit eingeschränkt.
(2) Wird festgestellt, dass eine Person in einer Gemeinschaftseinrichtung an Masern erkrankt, dessen verdächtig oder ansteckungsverdächtig ist, kann die zuständige Behörde Personen, die weder einen Impfschutz, der den Empfehlungen der Ständigen Impfkommission entspricht, noch eine Immunität gegen Masern durch ärztliches Zeugnis nachweisen können, die in § 34 Absatz 1 Satz 1 und 2 genannten Verbote erteilen, bis eine Weiterverbreitung der Krankheit in der Gemeinschaftseinrichtung nicht mehr zu befürchten ist.
(3) Für Maßnahmen nach den Absätzen 1 und 2 gilt § 16 Abs. 5 bis 8, für ihre Überwachung außerdem § 16 Abs. 2 entsprechend.
b. Kritik an der Rechtsgrundlage
Nun gibt es natürlich Kritiker, die das InfSG für nicht weitreichend genug halten, um die nun implementierten Ausgangsbeschränkungen zu rechtfertigen. Solche Kritiker sind wichtig und es ist sinnvoll, sie und ihre Bedenken zu hören. Daher wird derzeit auch eine Verschärfung des InfSG in Erwägung gezogen, um hier auf der ganz sicheren Seite zu sein.
c. Alltägliche Einschränkungen von Freiheitsrechten

Die Einschränkung der Grundrechte kommt übrigens in unserem Leben häufiger vor als wir das vermuten würden- nur sind das so klare Sachverhalte, dass wir uns über die Beschränkungen nicht aufregen. Als Beispiel sei ein verurteilter Straftäter genannt, der zu einer Freiheitsstrafe verurteilt wird oder der Tatbestand der Beleidigung, der die Meinungsfreiheit einschränkt.

3. Verhältnismäßigkeit

Nicht umsonst nennt man uns Juristen “Wortklauber”, denn einzelne Wörter können den Sinnzusammenhang ganzer Paragrafen verändern. Das große kleine Stichwort in obigem § 28 InfSG ist das Wörtchen “kann”. Denn der Paragraf regelt nicht, dass die Behörde die Maßnahmen a, b und c einleiten muss, sondern sie einleiten kann. Wie beurteilt nun aber eine Behörde, ob sie innerhalb dieses Handlungsspielraums handeln will oder nicht? Wann muss die Behörde eingreifen?

a. Grundsatz der Verhältnismäßigkeit 

Bei der Entscheidung, ob sie eingreifen muss, darf oder soll hilft der Behörde eine Abwägung im Lichte der Verhältnismäßigkeit. Wenn man die Berichterstattung der vergangenen Wochen aufmerksam verfolgt hat, konnte man gut merken, dass die Regierung sich diesen Schritt nicht leicht gemacht hat. Es wurden viele Spezialisten gehört, die ganz klare Empfehlungen abgegeben haben, die die Zuständigen dann gegen die Einschränkung der Grundrechte abgewogen haben. Das wurde in dieser Form auch immer wieder so kommuniziert.

b. Rechtsstaatsprinzip

Basis für die zu erfolgende Abwägung ist letztendlich das Rechtsstaatsprinzip in Form des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. Inhalt desselben ist, dass staatliche Gewalt gegenüber den Bürgern restriktiv und nur zur Anwendung kommen soll, wenn nicht anders möglich. Der Staat soll also nicht härter durchgreifen als unbedingt erforderlich. Basis für den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist, dass zwar der einzelne Freiheitsrechte hat, die ihm durch die Verfassung garantiert sind, er aber auch Mitglied des Gemeinwohls ist. Ist dieses gefährdet, kommt eine Einschränkung der Grundrechte des einzelnen in Betracht, um das große Ganze zu schützen- in unserem Coronavirusfall also etwa der Schutz der Allgemeinheit vor einem Zusammenbruch des Gesundheitssystems.

c. Voraussetzungen der Verhältnismäßigkeit

An dieser Stelle verzichte ich darauf, das bei Juristen allseits bekannte Prüfschema der Verhältnismäßigkeit, das man als Student in jeder Staatsrechtsklausur auf der Pfanne haben sollte, einzugehen, allerdings verweise ich auf die Eckpunkte, die einer jeden solchen Prüfung der Verhältnismäßigkeit zum Inhalt haben muss:

  • Legitimer Zweck
  • Geeignetheit der Maßnahme zur Erfüllung des Zwecks
  • Erforderlichkeit der Maßnahme zur Erfüllung des Zwecks
  • Angemessenheit der Maßnahme zur Erfüllung des Zwecks

Als Beispiel für all die Themen, die bei einer derartigen Prüfung eine Rolle spielen, kann u. a. folgendes dienen: Ohne Virologe oder Spezialist für Epidemien oder gar Pandemien zu sein erscheint die Beschränkung von Kontakt der Menschen untereinander eine Maßnahmen zu sein, die ein geeignetes Mittel gegen die Weiterverbreitung des Virus ist.

4. Wann endet die Verhältnismäßigkeit?

Der Staat hat ganz sicher noch nicht alle Register gezogen, die denkbar sind. Sollten noch weitreichendere Maßnahmen für erforderlich angesehen werden wie etwa eine totale Ausgangssperre sind auch noch andere Aspekte mit in die Abwägung mit einzubeziehen. Denn: ab einem gewissen Grad des “Eingesperrtseins” wird auch dies zur Belastung unseres Gesundheitssystems führen, etwa, weil die Menschen keinen Sport mehr machen können, wenn sie in ihren Häusern und Wohnungen eingesperrt sind, weil sie depressiv werden, weil sie zu wenige Sozialkontakte haben, zum Beispiel, wenn Personen alleine leben und keine Ansprache durch andere mehr haben usw.

5. Ausblick

Nach meinem Dafürhalten ist sowohl in der jetzigen Situation als auch für zukünftige weitere Maßnahmen wichtig, dass die Freiheitseinschränkungen einer zeitlichen Befristung unterliegen. Daher werden bereits jetzt die Rufe in der Öffentlichkeit, aber auch in der Politik danach laut, klar zu definieren, wann die Beschränkungen ein Ende finden.

Es ist verständlich, dass die Verantwortlichen hierauf derzeit noch keine Antwort haben, schlicht, weil eine derartige Prognose zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht abgegeben werden kann. Das Vorgehen ist bestimmt noch für eine gewisse Zeit in dieser Form machbar. Im Lichte der Rechtsstaatlichkeit muss die Frage danach, wann der Irrsinn ein Ende hat, aber zunehmend in die Diskussion mit aufgenommen werden. Zumindest Kriterien, an denen möglicherweise fest gemacht werden kann, wann es zu Lockerungen oder auch einer Aufhebung der freiheitseinschränkenden Maßnahmen kommen kann, sollten jetzt immer mehr in die politische und öffentliche Diskussion mit einfließen.

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